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Die Unvermittelbarkeit der Erfahrung: Eine philosophische Betrachtung.

Blog für Gesellschaft und Digitalisierung

Die Unvermittelbarkeit der Erfahrung: Eine philosophische Betrachtung.

Kürzlich schrieb ich auf Linkedin einen Beitrag, wie Wissenstransfer und selbstgemacht Erfahrungen im Arbeitsleben eine Rolle spielen. Schade, dass die eigene Erfahrung, das im Laufe der Jahre gesammelte Wissen und die persönlichen Netzwerke nicht per Knopfdruck weitergegeben werden können.

Das gilt für die Arbeitswelt, wenn wir nicht wissen wo uns vor lauter E-Mails, neuen Projekten und Anfragen der Kopf steht, als auch für das Privatleben, wenn es uns schmerzt, dem Nachwuchs zuzusehen, wie er leidvolle Erfahrungen selber durchläuft.

Es liegt in der Natur des Menschen, Wissen weitergeben zu wollen. Wir sehnen uns danach, die schmerzlichen Umwege unseres Lebensweges für unsere Nachkommen zu verkürzen, ihnen die Dornen zu ersparen, an denen wir uns gestochen haben. Doch trotz aller Bemühungen bleiben Erfahrungen in ihrem Kern unvermittelbar – sie müssen stets aufs Neue selbst durchlebt werden.

Diese Unvermittelbarkeit der Erfahrung erscheint zunächst als tragische Unzulänglichkeit unserer Existenz. Wäre es nicht effizienter, wenn jede Generation direkt auf dem aufbauen könnte, was die vorherige durchlebt hat? Frank Herbert greift diese Sehnsucht in seinem Science-Fiction-Epos „Dune“ auf, indem er den Bene Gesserit die Fähigkeit verleiht, auf das genetische Gedächtnis ihrer Vorfahren zuzugreifen. Doch selbst in dieser fiktiven Welt wird deutlich: Die Last geerbter Erfahrungen kann zum Gefängnis werden, wie es die Figuren Paul Atreides und sein Sohn Leto II. schmerzlich erfahren.

Die Evolution hat uns Sprache, Schrift und digitale Medien geschenkt – doch für die tiefste Weisheit des Lebens bleiben diese Werkzeuge unzureichend. Im Arbeitsleben können wir Prozesse dokumentieren, in Handbüchern festhalten und in Schulungen vermitteln. Doch die wahre Meisterschaft entsteht erst durch das eigene Tun, durch Fehler und deren Überwindung. Ein Handwerker mag seinem Lehrling die Technik zeigen, doch das Gefühl für das Material, die intuitive Sicherheit der Bewegung – diese Dimension bleibt dem Eigenerlebnis vorbehalten.

Im Privatleben wird diese Wahrheit noch augenfälliger. Wie oft haben Eltern versucht, ihre Kinder vor Liebeskummer zu bewahren, indem sie von eigenen Enttäuschungen erzählten? Und wie selten hat diese Weitergabe zum gewünschten Ergebnis geführt? Die Liebe muss erlebt werden, mit all ihren Höhen und Tiefen, um verstanden zu werden. Ähnlich wie die Fremen in Herberts „Dune“, die trotz aller Überlieferungen die Härte der Wüste selbst erfahren müssen, um wahre Weisheit zu erlangen.

Vielleicht liegt der tiefere Sinn gerade darin, dass jede Generation, jeder Mensch die Welt neu entdecken muss. Diese Notwendigkeit verhindert Stagnation und ermöglicht erst Innovation und kulturelle Evolution. Die Fähigkeit, aus fremden Fehlern zu lernen, ist begrenzt – doch gerade diese Begrenzung zwingt uns, unseren eigenen Weg zu finden und dabei neue Pfade zu entdecken.

So bleibt die menschliche Existenz ein Spannungsfeld: Wir streben danach, Weisheit weiterzugeben, wissend, dass ihr Kern sich der Übermittlung entzieht. In dieser Spannung liegt vielleicht eine der größten Quellen für die Dynamik des Lebens selbst – die ewige Notwendigkeit, als Individuum und als Gesellschaft immer wieder von Neuem zu beginnen, ohne je ganz von vorne anfangen zu müssen.

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